Als die Russen-Sahara verschwand

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Alte Wracks wie von diesem militärischen Schwimmfahrzeuge landeten auf der Schrottdeponie und wurden demontiert. Was am neuen Standort der Truppen in der russischen Heimat zu gebrauchen war, wurde verladen und abtransportiert. FotoArchiv: Langhans

Oktober 1990:der Müritz Nationalpark wird gegründet mit dem Schießplatz in der Kernzone

Februar 1991:Berechtigung durch die Aufbauleitung des Nationalparks über die Zusammenarbeit von Hubert Langhans mit der sowjetischen Komandantur

ab März 1991:Verhinderung weiterer Umweltschäden auf dem Übungsplatz

April 1993:Einstellung aller militärischen Tätigkeiten auf dem Schießplatz

ab September 1993:Rückbau der Gebäude, Straßen und befestigter Abschnitte in Zusammenarbeit mit dem Bundesvermögensamt, dem Bundesforstamt und ausführenden Firmen

 

Von unserem Redaktionsmitglied
Tobias Lemke

Vor 20 Jahren wurde letzt- malig auf dem einstigen Truppenübungsplatz der sowjetischen Streitkräfte bei Granzin geschossen. Im April 1993 war dann Schluss. Wenig später zogen die Armeeangehörigen in Richtung russischer Heimat ab und auf dem Schießplatz startet der Rückbau.

Krienke.Wenn Hubert Langhans heute vor seine Haustür tritt, befindet er sich mittendrin. Sein Haus in Krienke liegt nämlich im Herzen des Müritz-Nationalparks. Das ist zwar schon seit mehr als 20 Jahren so, seit das Naturschutzgebiet 1990 ins Leben gerufen wurde. Doch sah der Blick weniger hundert Meter entfernt von seinem Haus damals noch ganz anders aus. Vor 20 Jahren stand man hier noch in der „Sahara“, einer Sandwüste mitten in Mecklenburg-Vorpommern.
„Als Sahara haben die Russen das riesige Stück Sandfläche auf dem Truppenübungsplatz im Nationalpark bezeichnet. Dort wurde jeder Bewuchs von den Panzerketten förmlich niedergewalzt“, erklärt Hubert Langhans. Der heute 74-Jährige hat ab 1991 den Rückbau der militärischen Anlagen im Müritz Nationalpark begleitet und war im Auftrag des Nationalparkamtes Kontaktperson zur sowjetischen Kommandantur. Bis 1993 existierte das Ausbildungszentrum Speck mit dem Schießplatz Granzin. Im April vor genau 20 Jahren wurden die Ausbildungstätigkeiten auf den Truppenübungsplatz dann endgültig eingestellt.

Panzergeschosse flogen bis zu 3000 Meter weit
Unter anderem die Ausbildung auf der Panzerfahrschulstrecke, auf Panzerschießbahnen, die Pionierausbildung, Schießen mit Schützenwaffen sowie das Verlegen und Räumen von Mienen wurden auf dem Truppenübungsplatz in den Mecklenburgischen Seenplatte abgedeckt. „Die Panzer sind auf eine Anhöhe gefahren und haben von dort aus auf bewegliche Panzersilhouetten geschossen, die auf Schienen vorbeigezogen wurden“, erinnert sich Hubert Langhans. 2500 bis 3000 Meter flogen die Geschosse durchs Gelände, wo heute in friedlicher Ruhe die Natur sich selbst überlassen wird. Damit die Panzerpatronen nicht übers Ziel hinausschossen, erhielten die Kampffahrzeuge ein Einsteckrohr und damit ein kleineres Kaliber. „Aber selbst das waren noch ganz schöne Ballermänner“, erzählt Hubert Langhans.
Das Areal zwischen Speck und Granzin war Ausbildungszentrum für die 16. Gardepanzerdivision der Gruppe der sozialistischen Streitkräfte in Deutschland, wie die offizielle Bezeichnung der damaligen sowjetischen Armee lautete. Später wurden die Kräfte in Ostdeutschland in „Westgruppe der Truppen“ und schließlich nach dem Zerfall der UdSSR zu den „Truppen der GUS-Staaten“ unbenannt. „Spätestens mit dem Putsch 1991 in Russland wussten die Soldaten aber nicht mehr so recht wohin die Entwicklung geht. Zuletzt waren sie doch eher mit sich selbst beschäftigt als mit der militärischen Ausbildung“, beschreibt Langhans die zusätzliche Schwierigkeit seiner Aufgabe.
Der Krienker war zur Wende als Oberst aus der NVA ausgeschieden, hatte in seiner Ausbildung bei den Streitkräften fünf Jahre lang in Leningrad, dem heutigen Sankt Petersburg, studiert. Ab 1991 wurde er dann vom Müritz Nationalpark in der Aufbauleistung beauftragt. Und zwar sollte Langhans den russischen Kräften beim Rückbau des Schießplatzes behilflich sein. Und das möglichst auch unter den Bedingungen des Naturschutzes. „Für mich als ehemaligen Militärangehöriger habe ich die persönliche Verpflichtung gesehen, die Schäden so gering wie möglich zu halten und da wo es ging, diese zu beseitigen“, erklärt Langhans zu seinen Intentionen.
Dabei war zunächst selbst die Kontaktaufnahme mit den sowjetischen Armeeangehörigen alles andere als einfach. „Bis zum Schluss wurde auch wert darauf gelegt, militärische Geheimnisse zu wahren“, sagt Langhans. Die Unterschrift des Kommandanten der 2. Gardepanzerarmee aus dem Stab in Fürstenberg gab dann aber schließlich grünes Licht für seine Arbeit. Damit war Hubert Langhans das Betreten der Anlagen und militärischen Objekte im Ausbildungszentrum Speck gestattet.

Schießplatz mitten
in der Kernzone
„Meine Aufgabe war es, die militärische Tätigkeit dahin gehend zu beeinflussen, dass weitere Umweltschäden verhindert wurden und eine Beruhigung des Gebiets stattfinden konnte“, so Langhans. In der Praxis konnte das etwa die Unterbindung von Wasserdurchfahrten der Panzer sein. Denn dabei gelangten zumeist große Öllachen in die Gewässer. Bei taktischen Übungen, Gefechtsschießen und Feldlagern war Hubert Langhans seit März 1991 fast täglich unter den Soldaten und hat Fragen des Natur- und Umweltschutzes angesprochen. Lag der Schießplatz doch mitten in der Kernzone des neu gegründeten Nationalparks. Langhans bemühte sich Soldaten und Technik zu nutzen, um schon möglichst viel von den Anlagen abzubauen und Flächen zu beräumen. „Ich konnte zum Beispiel ein paar Mann zum Einsammeln von Aluminiumteilen, die als Munitionsreste übrige blieben, gewinnen. Als die erste Fuhre beim Schrotthändler ein paar hundert Mark einbrachte, hatte ich am nächsten Tag statt zehn plötzlich 30 Mann zum Schrotteinsammeln“, erzählt er von einer Episode.
Natürlich kamen auch andere Dinge vor, wurden Soldaten zum Beispiel dabei erwischt, wie sie Spezialmunition in der „Sahara“ vergraben wollten. „Die Russen wollte den Dreck loswerden, und überall konnte ich meine Augen nicht haben“, sagt Hubert Langhans. Warnschilder mit dem Hinweis auf munitionsbelastetes Gebiet stehen so auch heute noch im Müritz-Nationalpark. Vom Munitionsbergungsdienst geräumt, wurden ohnehin nur Flächen, die an Alteigentümer zurückgegeben wurden.

Der Übergang zum
„Niemandsland“
Nach dem Abzug der russischen Streitkräfte 1993 entstand auf dem Schießplatz zunächst eine Art „Niemandsland“, wie Hubert Langhans es formuliert. Das heißt, wer sich hier auskannte, hatte leichtes Spiel seinen Unrat und Müll in der „Sahara“ zu entsorgen. Andererseits sind neugierige Leute mit ihrem Trabi und Anhänger gekommen, um mitzunehmen, was sie kriegen konnten. Das sei mehr oder weniger geduldet worden, sagt Langhans, nicht allerdings, dass sich Müll, Schrott und alte Autowracks wahllos im Wald ansammelten. Viel zu holen gab es da ohnehin nicht mehr. Hatten die russischen Streitkräfte doch alles abgebaut, was noch zu gebrauchen war, egal ob Straßenlampen, Kabel oder Zäune.
Ab September 1993 wurde schließlich mit dem Rückbau von Gebäuden, Panzerstraßen und anderen befestigten Anlagen begonnen. Eine spezialisierte Öltruppe war mit der Reinigung der Panzer-Waschanlage beschäftigt, in der der Ölabscheider randvoll war. Bis Ende 1995 konnte der Rückbau im Großen und Ganzen gestemmt werden. Einzig eine zentrale Müllkippe, die später bereinigt wurde, erinnerte da noch an den einstigen Truppenübungsplatz. Wer genauer hinschaut, wird aber sicherlich noch heute die eine oder andere Spur vom Schießplatz der Sowjets entdecken können. „Irgendwo guckt bestimmt noch ein Blech aus dem Boden hervor“, erklärt Hubert Langhans, dass die „Sahara“ wohl noch nicht gänzlich verschwunden ist.

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t.lemke@nordkurier.de